Zu Besuch in Savièse

Zu Besuch in Savièse avec Sylvain Dumoulin

Während Savièse für seine sonnige Lage oberhalb von Sitten bekannt ist, wissen wenige, dass sich die Gemeinde von der Talebene bis zu den Gletschern erstreckt und mit seinen vielfältigen Landschaften und hübschen Dörfern rund um St-Germain ein wahres Paradies ist. Sylvain Dumoulin nimmt uns mit in seine Gemeinde und stellt uns deren Sehenswürdigkeiten und Schätze vor: eine kaum bekannte Burgruine, ein lokales Motto, eine kulinarische Spezialität und ein traditionsreiches Fest.

 

Savièse kennt man als sonniges Hochplateau über Sitten. Weniger bekannt ist aber, dass sich das Gemeindegebiet von Savièse von der Talebene bis zu den ewigen Gletschern erstreckt und sich rund um St-Germain, dem Hauptort, abwechslungsreiche Landschaften und eine ganze Reihe lieblicher Dörfer finden. In den vergangenen Jahren ist die Gemeinde stark gewachsen und zählt mittlerweile um die 8400 Einwohnerinnen und Einwohner. Was den Reiz von Savièse ausmacht, verrät uns Sylvain Dumoulin, Gemeindepräsident von Savièse und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Dienststelle für Mobilität. Er hat für unseren Abstecher nach Savièse ein paar besondere Highlights herausgepickt: das Château de la Soie (auf Deutsch Schloss Seta), das Motto «Pa Capona», den berühmten «Flon saviésan» und das Herrgottsfest, bei dem ganz Savièse auf den Beinen ist.

 

Das unbekannte Château de la Soie

Sylvain Dumoulin geht auf dem steilen, kurvenreichen Weg voraus. Nach wenigen Metern erreichen wir das Haupttor des Château de la Soie. Vor uns ein monumentales Tor, die einzigen Mauerreste, die von der im Jahr 1200 durch den Bischof von Sitten errichteten Burg noch übrig sind. Während über einem Jahrhundert war die Burg der bevorzugte Sitz der Bischöfe. Erbaut wurde die Burg, um in den territorialen Konflikten Herrschaftsansprüche gegen die Savoyer geltend zu machen; sie spielte dann aber beim Raronhandel eine wichtige Rolle, bei dem es einen Aufstand gegen die Herrschaft der Adelsfamilie von Raron gab. «1417 wurde das Schloss niedergebrannt und dem Erdboden gleichgemacht», erzählt uns der Gemeindepräsident. «Irgendwann begannen die Dorfbewohner, die Steine der Ruine für ihre Häuser und zur Befestigung ihrer Rebberge zu nutzen.»

 

Auch wenn von der Burg nicht mehr viel übrigblieb, kamen ihre Geheimnisse nach und nach ans Licht. 2017 wurde der Hügel mittels Georadars vermessen. Dabei wurden neue Türme lokalisiert. «Beim Scan wurden auch die Fundamente des Bergfrieds und die Kellergewölbe der Burg sichtbar. Damit haben wir heute eine sehr präzise Vorstellung, wie die Burg ausgesehen hat.»

Vom kleinen Hügel aus hat man eine atemberaubende Aussicht aufs Rhonetal. «Man hat praktisch einen 360°-Blick, womit man früher feindliche Heere bis nach Martinach erspähen konnte», weiss Sylvain. Heute lädt der Ort zum Verweilen ein.

Der Aussichtspunkt ist für sein spezielles Mikroklima und seine Trockenwiesen bekannt. Auf dem Hügel wachsen seltene Pflanzen von nationaler Bedeutung, wie der Walliser Rittersporn oder die Schweizer Schwertlilie. Ein solch aussergewöhnlicher Ort bedarf aussergewöhnlicher Vorkehrungen.

«Man darf hier nicht mähen. Die Grünpflege wird von Schafen übernommen, die einmal pro Jahr zum Weiden hierher getrieben werden.»

Die Gemeinde weiss um die Bedeutung des Orts und plant deshalb einen Lehrpfad, der demnächst realisiert werden soll.

Auf den Namen des Schlosses angesprochen, erklärt Dumoulin: «Aus der Ferne sieht der felsige Grat des Hügels wie eine gezahnte Säge aus. Im Altfranzösisch oder auf Patois wurde «scie» (Säge) als «soie» ausgesprochen.»

 

Der beliebte Ausspruch «Pa Capona»

Das im Unterwallis allgegenwärtige «Pa Capona» ist eng mit Savièse verbunden. Der Gemeindepräsident liefert uns eine Erklärung zur Bedeutung und zum Ursprung dieser Redewendung und führt uns dazu an einen anderen geschichtsträchtigen Ort der Gemeinde: die Bisse de Savièse, mit der Pa Capona eng in Verbindung gebracht wird.

 

 

«Die Suone wurde um das Jahr 1430 erbaut, um die Wiesen und Felder in der Gegend zu bewässern. Wie an vielen anderen Orten im Wallis war die Wasserknappheit auch in unserem Dorf ein grosses Problem», so Sylvain. Das blaue Gold wurde im Vallée de la Morge gefasst und über ein Bauwerk nach Savièse geleitet.

Was einleuchtend tönt, war alles andere als einfach: «Jeden Winter wurden ganze Abschnitte der Suone durch Lawinen oder Steinschlag zerstört und mussten jeweils im Frühling wieder mühsam instand gestellt werden.» So entstand der Patois-Ausdruck Pa Capona: «Pa Capona heisst niemals aufgeben, niemals kapitulieren, niemals die Schultern hängen lassen.»

1935 wurde das offene Bauwerk durch einen Tunnel ersetzt und die Suone wurde nicht mehr benötigt. Was blieb, war das Motto selbst. «Nagelt mich jetzt bitte nicht auf die historische Richtigkeit meiner Erklärungen fest», scherzt Sylvain. «Ich finde es ist eine schöne Legende, die es wert ist, weitererzählt zu werden.»

Mittlerweile ist das Motto weit über die Gemeindegrenzen hinausbekannt und hat sogar in der Alltagssprache Einzug gehalten. Savièse macht darauf aber kein Exklusivrecht geltend: «Der Ausdruck hat seine Wurzeln bei uns, aber er darf aber natürlich von allen verwendet werden», meint Sylvain grosszügig.

Die Bisse de Savièse, die auch unter dem Namen Bisse du Torrent-Neuf bekannt ist, wurde in den Nullerjahren übrigens zu einem Wanderweg umgestaltet. «Der Weg ist eine Hommage an die Arbeit unserer Vorfahren. Man sieht auf eindrückliche Art und Weise, wie die Suone in den Fels gehauen oder die Kännel an der Wand befestigt wurden.»

©LINDAPHOTO.CH

 

 

Der alten Tradition zufolge wird der Weg jeweils im Frühjahr beim «Gmeiwärch» instand gestellt, damit er ab Mai von Wanderern und Spaziergängern genutzt werden kann. Pa Capona, die Geschichte geht weiter.

 

Offizielle Website der Suone: www.torrent-neuf.ch

 

 

Der Flon saviésan, ein kulinarisches Highlight

«Wie wär’s mit einer Pause?» Zurück in St-Germain lädt uns Sylvain Dumoulin auf eine einheimische Spezialität ein: den berühmten Flon saviésan, der übrigens nicht mit dem puddingähnlichen Flan und noch weniger mit dem Gâteau saviésan zu verwechseln ist.

Zum Flon saviésan findet man sogar im Inventar des kulinarischen Erbes der Schweiz einen Eintrag. Es ist ein Früchtekuchen, der unter und auf den Früchten eine süsse Sablé-Schicht trägt.

Das Geheimnis des Rezepts verrät uns Bäcker-Konditormeister Baptiste Debons, dem wir nun einen Besuch abstatten. «Der Teigboden besteht aus Mehl, Butter, Zucker und Salz», verrät er uns. Bei der Wahl der Früchte hat man freie Hand: «Meist nimmt man Äpfel. Je nach Saison eignen sich aber auch Rhabarber, Aprikosen oder Zwetschgen gut.» Sylvain ist da weniger offen: «Für mich muss ein echter Flon aus Äpfeln sein.»

Der Kuchen ist nicht nur einfach in der Zubereitung, er lässt sich auch bis zu einer Woche aufbewahren. Das perfekte Dessert also zum Kaffee? Sylvain verneint, der richtige Moment für ein Stück Flon sei erst nach dem Kaffee.

Auf die Frage, wie es denn um die Backkünste des Gemeindepräsidenten stehe, lacht er: «Ich habe mich selbst einmal an einen Flon gewagt und mein Ergebnis ganz stolz auf Social Media gepostet. Alle anderen waren aber gar nicht dieser Meinung und in der Fasnachtszeitung wird noch heute Jahr für Jahr über meinen Flon gespottet». Mit Baptistes Tricks und Ratschlägen sollte es Sylvain aber gelingen, seinen guten Ruf wieder herzustellen.

Website : dblesartisans.ch

 

Fronleichnam als Höhepunkt des Jahres

Zum Abschluss unseres Rundgangs durch Savièse müssen wir natürlich noch auf das Herrgottsfest zu sprechen kommen. Dazu führt uns Sylvain zur Kirche von St-Germain. Dort zeigt er uns das von Ernest Biéler gestaltete Kirchenfenster zum Fronleichnamsfest. Über unseren Köpfen fasst das Werk die wichtigsten Momente der Prozession zusammen. «Der untere Teil des Bilds zeigt die Frauen, die die heilige Jungfrau tragen», erklärt Sylvain mit Blick nach oben. «In der Mitte sieht man Jesus am Kreuz, der von den Grenadieren und den Sapeuren, erkennbar an ihren großen Hüten, umgeben ist. Und ganz oben die Monstranz unter ihrem Baldachin.» Die 1934 von Ernest Biéler angefertigte Glasmalerei repräsentiert noch heute die Essenz der Feier.

Zum Fronleichnamsfest strömen in Savièse jedes Jahr um die 1000 Menschen zusammen, darunter gegen 400 in Uniform und Festtagskleidung. Nach einem eingespielten Turnus ist jeweils ein anderes Dorf der Gemeinde für die Organisation verantwortlich. Diesem Turnus ist es auch zu verdanken, dass Fronleichnam in Savièse auch heute noch einen so grossen Stellenwert hat: «Der Wettbewerb zwischen St-Germain, Chandolin, Drône, Granois, Ormône und Roumaz trägt viel dazu bei, dass sich alle ins Zeug legen. Es gibt eine gesunde Art Konkurrenz. Jedes Dorf will es noch besser machen als die anderen», so der Gemeindepräsident.

Die Gemeinde trägt einiges zum Gelingen des Feiertags bei, stellt jeweils die Festanzüge zur Verfügung und lässt die Festbeflaggung hissen. «Das Banner verlässt seine Vitrine nur zu Fronleichnam. Und nein, das ist nicht nur eine Anekdote, sondern zeigt, wie wichtig dieser Feiertag für uns ist. Fronleichnam ist der Kitt zwischen den Dörfern der Gemeinde und hilft den Neuzuzügern bei der Integration; der Herrgottstag ist wirklich etwas Besonderes für uns», betont Dumoulin.

©LINDAPHOTO.CH

 

Das nächste Fronleichnamsfest wird am 19. Juni 2025 gefeiert. Dieses Jahr wird Chandolin die Ehre zuteil, die grosse Feier zu organisieren.

 

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